Wer sich mit Konzertkritik oder Klavier-Beiträgen befasst, wird sicher hin und wieder mal über Phrasen wie „makellose Technik” oder „brillantes Spiel” stolpern. Es scheint sich dabei um ein Qualitätsmerkmal zu handeln, das mittelmäßige von erstklassigen KlavierspielerInnen unterscheidet. Und tatsächlich gibt einem eine geeignete Technik die Fähigkeit (fantastisch) zu spielen, es zu genießen und das Publikum zu begeistern. Technische Übungen helfen dabei bzw. sind dafür da, genau diese Klaviertechnik zu entwickeln. Je besser dein Können und deine Technik am Klavier sind, desto stärker kannst du dich selbst und andere für deine Musik bzw. deine Interpretation begeistern. Außerdem erhältst du so Zugang zu einem fortgeschrittenen Repertoire. Im Umkehrschluss bedeutet das: Spielt jemand (technisch) falsch, denken die Zuhörer während des Klavierspiels darüber nach, dass es sich zum Beispiel langsam, ungleichmäßig oder auch willkürlich anhört.

Technik schließt dabei mit ein, beim Klavierspiel vollen Körpereinsatz zu zeigen. Wir arbeiten zwar in erster Linie mit der Handmuskulatur, vor allem mit den Fingern, aber auch mit den Handgelenken. Weiterhin kommen die Unter- und Oberarme sowie die Schultern beim Klavier spielen zum Einsatz. Beim Sitzen vor dem Klavier werden darüber hinaus Rücken und Beine beansprucht. Wie bei jeder herkömmlichen Sportart muss die Muskulatur, die für das Klavierspiel benötigt wird, aber erst einmal entwickelt und später dann gepflegt werden. Auch dafür sind technische Übungen da. Es kommt außerdem darauf an, auf die richtige Art und Weise zu üben, um die Muskeln nicht zu überanspruchen oder zu überdehnen. So mancher professionelle Klavierspieler musste diese Erfahrung erst wesentlich später in seiner Karriere und verbunden mit viel Schmerz und Frust machen. Um das zu vermeiden, sollte man sich intensiv damit beschäftigen, was technische Übungen sind und warum sie für ein herausragendes Klavierspiel benötigt werden.

Was genau ist mit Klaviertechnik gemeint?

KlavierspielerInnen stellen sich in der Regel zuerst einmal den Klang vor, den sie erzeugen möchten. Je besser man sich den Klang eines Stücks vorstellen kann, desto besser kann man am Ende unterscheiden, ob sich der Klang richtig anhört. Wir wissen dann automatisch, ob die Bewegungen, die den Klang erzeugen, korrekt waren oder nicht. Im Grunde meint Klaviertechnik also die Gesamtheit der Mittel, die wir für die Umsetzung der Klangvorstellung auf das Klavier benötigen:

Um die eigenen technischen Fähigkeiten zu verbessern, brauchen wir demnach ein feines Gehör. Hört sich das Gespielte nicht so an wie die Klangvorstellung, müssen wir weiter an unserer Technik arbeiten. Das bedeutet, dass zum Beispiel die Koordination der Bewegungen verbessert werden muss. Einen großen Anteil an der Technik hat neben den Sinnen (Gehör) und der Sensomotorik auch das Nervensystem. Letztendlich ist es jedoch die Interaktion dieser Faktoren, die dazu führt, dass die Klangvorstellung verfeinert sowie die technischen Fähigkeiten und der Klang verbessert werden. Zusammengefasst kann man sagen: Klaviertechnik nutzt alle anatomischen und natürlichen Bewegungsmöglichkeiten des Menschen, um zahlreiche Klangstrukturen und Klänge umzusetzen.

Voller Körpereinsatz: Koordination und Körperspannung

Wie bereits erwähnt, sind technische Übungen unter anderem dafür wichtig, um die Muskeln zu trainieren und zu lockern. Ganz ähnlich wie bei den meisten Sportarten kommt es aber nicht ausschließlich auf die Hände an. Ein Beispiel: Während beim Fußball der Ballkontakt meistens mit dem Fuß erfolgt, ist trotzdem noch viel mehr als nur der Fuß nötig, um einen guten Schuss auszuführen. Neben der richtigen Körperhaltung und Körperspannung gehört dazu eine stimmige Gesamtbewegung. Dementsprechend vielfältig ist ein Fußballtraining: Es beinhaltet nicht nur Fuß- und Beinarbeit, sondern eine Ausbildung des gesamten Körpers und der Koordination sowie die Verbesserung der Schusstechnik.

Zum Glück musst du beim Klavier-Spielen keinen Fußball auf mehr als 100 Stundenkilometer beschleunigen. Alles, was du machen musst ist, etwa 50 Gramm aufzuwenden, damit du die Taste nach unten drücken kannst. Kommt es zu solch einem Tastenanschlag, werden etliche Hebel in Bewegung gesetzt, die schlussendlich dazu führen, dass der Hammer des Klaviers ausgelöst und die Saite angeschlagen wird. Ähnliches passiert in unserem Körper: Unser Hebel reicht jedoch vom Rücken über den Ober- und Unterarm bis hin zur Hand, den Fingern und dem letzten Fingerglied. Das ist auch gut so, denn je länger ein Hebel ist, desto mehr Kontrolle hat man darüber. Um die Klänge beim Klavierspiel differenziert kontrollieren zu können, müssen wir entsprechend den Arm und sogar den gesamten Körper nutzen. Nur, wer den Arm gut führen und einsetzen kann, kann mit fließenden Bewegungen und flexibel die beabsichtigten Klänge erzeugen.

Technische Übungen verringern das Verletzungsrisiko

Wenn du beim Klavierspielen zu viel Spannung in deinen Handgelenken und Armen hältst, erhöhst du das Risiko von sich wiederholenden Verletzungen wie dem Karpaltunnelsyndrom. Technische Übungen stärken deine Hände und Handgelenke nicht nur, sondern sorgen zudem für eine sanfte Erwärmung. Auch hier kann ein Beispiel aus dem Sport helfen, die Bedeutung zu erkennen: SportlerInnen tauchen schließlich auch nicht einfach zum Spiel auf und fangen an. Bekanntermaßen ist es wichtig, vorher da zu sein, sich aufzuwärmen und zu dehnen. Ähnliches passiert bei den technischen Übungen am Klavier. Bevor du ein (schwieriges) Stück spielst, solltest du deine Muskeln erwärmen.

Wie man eine überzeugende Technik entwickeln kann

Es gibt zahlreiche Bücher über Tonleitern und technische Übungen für das Klavier. Um die technischen Übungen jedoch zu perfektionieren, sollten KlavierlehrerInnen immer ein Auge darauf haben – insbesondere am Anfang der Klavier-Karriere. So kommt es beispielsweise darauf an, ob AnfängerInnen oder Fortgeschrittene üben. Für fortgeschrittene Studierende wird das Techniktraining vermutlich nicht neu sein. AnfängerInnen hingegen können sich durch technische Übungen schneller entwickeln und das Klavierspiel entsprechend früher optimieren oder genießen. Die meisten KlavierspielerInnen entwickeln im Laufe der Zeit ihre eigene Lieblings-Routine, um die Finger und Muskeln zu lockern.

Einige Klavierstücke bieten bereits eine Basis für technische Übungen. So kann man zum Beispiel einen oder zwei bestimmte Takte, die schwierig sind, zu einer technischen Übung machen. Täglich zu trainieren, erzielt dann zusätzlich, dass dieser kleine Teil leichter wird und das gesamte Stück entsprechend keine Probleme mehr bereitet. Die meisten technischen Übungen haben jedoch ein festgelegtes Muster und können in verschiedenen Tonarten geübt werden. Eine Möglichkeit besteht darin, einen Akzent auf einen bestimmten Zählwert zu setzen – zum Beispiel auf den ersten Schlag jedes Taktes in einer 4/4-Zählung. Der Akzent kann für das nächste Mal dann geändert werden. Generell bietet sich diese Form der technischen Übung dafür an, alle Finger zu trainieren. Denn es müssen immer verschiedene Finger hart arbeiten, nicht zuletzt deshalb, weil mit zusätzlichem Stress oder Druck gespielt wird.

Darüber hinaus gibt es Übungen, um die Muskeln in Arm und Hand zu trainieren, damit du schnell reagieren kannst. Erforderlich ist das beim Spielen von schnellen Passagen, bei denen man von Bass-Note zu Akkord oder von Akkord zu Akkord springen muss.

Was bei technischen Übungen zu beachten ist

Bei technischen Übungen konzentriert man sich in der Regel immer auf einen bestimmten Aspekt, der geübt werden muss. Dazu kann das Bewegen des Daumens unter der Hand in Tonleitern oder das Üben der Bewegung von Akkorden oder Sprüngen usw. gehören. Der große Pluspunkt bei technischen Übungen ist in jedem Fall, dass sie dir im kleinen Rahmen ein Erfolgserlebnis vermitteln. Das liegt daran, dass jede technische Übung normalerweise kurz und repetitiv ist.

Dennoch kann es schwer sein, sich das Üben mit der richtigen Klaviertechnik anzugewöhnen. Wenn du aber einmal in deinen Groove gefunden hast, auf deine Hände, Körperhaltung, Atmung und Anspannung zu achten, wirst du schnelle Fortschritte auch beim Klavierspiel spüren! Je stärker und konsequenter du beim Üben der Klaviertechnik bist, desto besser wirst du als PianistIn. Achte also immer darauf, wie du deine Hände hältst, wie du deine Handgelenke, Arme und Schultern positionierst und wie viel Spannung in deinem Körper ist.

Technische Übungen für ein Klavierspiel sind also wichtig. Denn tatsächlich arbeiten wir beim Klavier spielen mit Muskeln – so wie jeder Athlet oder Turner, der täglich üben muss, um Leistung zu erbringen.